>> Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk << Stellungnahme zum
Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP, Die von den Koalitionären getroffenen Vereinbarungen zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung sind wohl zunächst nur interpretationsbedürftige Absichtserklärungen, zu denen Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk die nachfolgende Stellungnahme abgibt, in der Absicht mitzuwirken, eine dringend notwendige Pflegereform an „Haupt und Gliedern“ schnellstmöglich voran zu bringen. Die Stellungnahme von Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk ist den jeweiligen fett / kursiv gesetzten Aussagen der Koalitionsvereinbarungen – Abschnitt: 9.2 – hinzugefügt. --- Jeder Mensch hat das Recht, in Würde gepflegt zu werden. Um dies zu ermöglichen, benötigen die Pflegenden Zeit für die Pflegeleistungen sowie für persönliche Ansprache und Zuwendung. Pflegende Angehörige und Menschen in Pflegeberufen pflegen täglich mit großem beruflichem und persönlichem Engagement. Wir werden die Rahmenbedingungen für Pflegende und Leistungsanbieter konsequent überprüfen und entbürokratisieren, damit der eigentlichen Pflege am Menschen wieder mehr Zeit eingeräumt wird. Das Gebot, eine menschenwürdige Pflege zu gewährleisten, ist verfassungsrechtlich garantiert (Art. 1 und 2 GG). Folgerichtig heißt es in § 2 SGB XI u.a.: „Die Leistungen der Pflegeversicherung sollen den Pflegebedürftigen helfen, trotz ihres Hilfebedarfs ein möglichst selbständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht.“ Die leistungsrechtlichen Ansprüche sind in § 28 ff. SBG XI näher beschrieben. Allerdings bleiben diese Aussagen zum Teil hinter dem zurück, was in der „Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen“ beschrieben ist. Daher erscheint es erforderlich, die Chartagrundsätze vollständig in die leistungsrechtlichen Beschreibungen einzufügen und damit auch als subjektiv-öffentliche Ansprüche auszugestalten. Dabei muss auch eine weitere Ausgestaltung der Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte der pflegebedürftigen Menschen bzw. ihrer Angehörigen erfolgen. Es wird übrigens als wenig hilfreich angesehen, Broschüren mit der „Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen“ in zigtausendfacher Menge an Institutionen und Einzelpersonen zu verteilen, ohne dass die Grundsätze vor Ort in irgendeiner relevanten Art und Weise umgesetzt werden (müssen). Das sind Verteilungsaktionen, die der Verschwendung öffentlicher Gelder zugeordnet werden können. Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk vertritt die Meinung, dass reformerische Maßnahmen einmal die professionell Pflegenden, aber auch die (ehrenamtlich) tätigen Angehörigen betreffen müssen. Die allseits gewünschte und erforderliche Zuwendung für pflegebedürftige Menschen kann nur dadurch gewährleistet werden, dass deutlich mehr Pflegefachpersonal und sonstige Betreuungskräfte zur Verfügung stehen. Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk schätzt, dass ein Personalmehrbedarf von rd. 20% vorliegt. Damit aber dieser Bedarf auf einer seriösen Basis ermittelt werden kann, werden bundesweit geltende Personalbemessungssysteme für dringend erforderlich erachtet. Die zur Zeit zur Anwendung kommenden regional geltenden Personalschlüssel und sonstigen Schätzparameter werden als unzureichend eingestuft mit der Folge, dass eine Anstellung von Personal mehr oder weniger nur den Finanzierungsmöglichkeiten folgt (= Beschäftigung von Pflegepersonal und sonstigen Betreuungskräften nach Kassenlage). Dieser Zustand muss endlich überwunden werden. Dann wäre auch genügend Zeit für angemessene gute Pflege und sonstige Zuwendung gegeben. Ohne ausreichend bemessene Personalausstattungen wird es keine Verbesserungen - und damit eine Abwendung von der sog. Minutenpflege - geben können. In diesem Zusammenhang muss auch Berücksichtigung finden, dass eine Verkürzung der Wehrdienstzeit auf sechs Monate zu einer entsprechend verkürzten Zivildienstzeit führen wird und damit den Pflegesystemen zahlreiche Zivildienstleistende als nützliche Helfer verloren gehen. Die insoweit entstehenden personellen Lücken müssen bei der notwendigen Personaldotierung angemessen Berücksichtigung finden. Der Personalmehrbedarf wird bei einer Verkürzung des Wehrdienstes deutlich über der o.a. Schätzmarke liegen. Um es auf den Punkt zu bringen: Wer alte und kranke Menschen mit sowenig Personal ( Geld ) allein lässt, der verachtet sie! Unabhängig von den Forderungen nach mehr Personal bedarf es einer umfassenden Stärkung der Angehörigenarbeit. Dies ist allein deshalb erforderlich, weil nur so dem Gebot „ambulant vor stationär“ Rechnung getragen werden kann. Die Stärkung der Angehörigenrechte muss auch leistungsrechtliche Folgerungen nach sich ziehen. Es kann und darf nicht sein, dass die Übernahme der Pflege von Familienangehörigen lediglich mit einem Pflegegeld abgegolten wird, das hinten und vorne nicht reicht, eine angemessene finanzielle Absicherung der beteiligten Familienmitglieder zu gewährleisten. Heute ist es nicht selten so, dass die komplette Übernahme einer häuslichen Pflege mit dem nachfolgenden Schicksal der Arbeitslosigkeit und nicht ausreichender Absicherung für das eigene Alter verbunden ist. Die seit Jahren gebetsmühlenartig vorgetragenen Erklärungen zur Entbürokratisierung sollten im Zusammenhang mit den jetzt anstehenden Reformmaßnahmen nicht überbewertet werden. Seit Jahrzehnten gibt es Entbürokratisierungsankündigungen. Im Ergebnis wurden aber immer wieder bürokratische Hürden zusätzlich geschaffen. Auch in der Pflege wurden angeblich qualitätssichernde Vorschriften in großer Zahl geschaffen. Geholfen hat es wenig, weil formale Anforderungen allein nichts bewirken. Entscheidend sind allein Veränderungen, die die Zuwendung am kranken und pflegebedürftigen Menschen gewährleisten. Insoweit kann nur eine angemessene Personalvermehrung helfen. Bürokratische Erfordernisse sind zum Teil auch den rechtsstaatlichen Grundsätzen geschuldet und müssen – ohne wirkliche Verringerungsmöglichkeiten – weitgehend hingenommen werden. Zu denken ist u.a. an die haftungsrechtlichen Regeln im Zusammenhang von Behandlungs- und Pflegeerfordernissen. Wenn über die Verbesserung der gebotenen Zuwendung für pflegebedürftige Menschen nachgedacht bzw. entschieden wird, müssen ggf. auch ergänzende gesetzliche Vorschriften erwogen werden, die effektiver als bisher die ärztliche Versorgung in den stationären Pflegeeinrichtungen gewährleisten. Es ist leider immer noch so, dass insoweit eine Mangelsituation gegeben ist. Und noch einige allgemeine Hinweise: ….
„Pflegeprobleme … --- Um den Familien die Chance zu geben, Erwerbstätigkeit und die Unterstützung der pflegebedürftigen Angehörigen besser in Einklang zu bringen, wollen wir mit der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst bei Pflege- und Arbeitszeit verbesserte Maßnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf entwickeln. Die noch sehr allgemein gehaltene Absicht, arbeits- bzw. tarifrechtliche Regelungen zu schaffen, die die pflegerische Versorgung verbessern helfen, ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings wird es für sinnvoll erachtet, die Stärkung der Angehörigenposition in einer Gesamtschau zu sehen, so dass auch eine Umsetzung des Grundsatzes „ambulant vor stationär“ für alle Beteiligten befriedigend möglich wird. --- Wir wollen ein Berufsbild in der Altenpflege attraktiver gestalten. Darüber hinaus wollen wir die Pflegeberufe in der Ausbildung durch ein neues Berufsgesetz grundlegend modernisieren und zusammenführen. Die Qualifizierung von Pflegefachkräften zu verbessern, kann nie verkehrt sein. Allerdings haben die zurückliegenden sog. Modernisierungsvorhaben für die Pflegeberufe im Kern wenig Verbesserungen gebracht. So hat z.B. die letzte Reform für die Krankenpflegeausbildung eine Ausweitung der theoretischen Ausbildung zu Lasten der Praxis erfahren. Inwieweit das zu einer Qualitätsverbesserung geführt hat, ist nicht ohne Weiteres erkennbar. Und so könnte man verschiedene Veränderungen auf ihre Nützlichkeit hin untersuchen. Wenn nun erneut an den verschiedenen Berufsgesetzen herumgebastelt werden soll, ist auch insoweit keine Notwendigkeit zu erkennen. Es wird angeraten, zunächst einmal die leistungsrechtlichen Aussagen des SGB XI entscheidend zu verändern. Erst danach sollte man sich in aller Ruhe einer eventuellen Reform der Pflegeausbildung zuwenden. --- Wir werden dafür sorgen, dass ausländische Hilfskräfte ebenso wie pflegende Angehörige oder deutsche Hilfskräfte auch notwendige pflegerische Alltagshilfen erbringen können. Diese auf den ersten Blick erfreulich erscheinende Aussage verniedlicht – absichtlich oder unbewusst – vielfältige Fragestellungen. So muss zunächst einmal grundsätzlich angemahnt werden, dass die pflegebedürftigen Menschen, zunehmend dementiell erkrankte Menschen, eine qualitativ hochwertige Pflege von Fachkräften benötigen. Insoweit gibt es bereits eine Quote, die zur Zeit durchweg bei 50% liegt. Eine Unterschreitung dieser Quote kann unter keinen Umständen hingenommen werden. Über die eigentliche Pflege (= Grund- und Behandlungspflege) hinaus gehende Betreuungsaufgaben können durchaus sonstigem Assistenzpersonal übertragen werden; vorausgesetzt, dieses Personal ist für die jeweiligen Verrichtungen angemessen qualifiziert. Den Einsatz von nicht oder nicht ausreichend qualifiziertem Personal in der Pflege und in der Betreuung lehnen wir ausdrücklich ab. Ebenso sprechen wir uns gegen Billiglöhne für ausländisches Pflege- und Betreuungspersonal aus. Auch wenn die hier gezahlten niedrigen Vergütungen im Heimatland (noch) als fürstliche Abgeltung angesehen werden können, auch für entsandte Pflegekräfte sollten die Lohn- und Tarifbedingungen der Bundesrepublik gelten. Eine Konkurrenz um das billigste Angebot sollte aus berufspolitischen und ordnungsrechtlichen Gründen für die Pflege nicht hingenommen werden. --- Die Pflege muss sich noch mehr an den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen orientieren. Durch mehr Transparenz bei Leistungsangeboten, deren Preis und Qualität erhalten Pflegebedürftige und ihre Angehörigen die Möglichkeit, Leistungen und Leistungserbringer flexibler auszuwählen. Dabei sollen sie verstärkt zwischen Sachleistungen und Geldleistungen wählen können. Diesen Aussagen ist in dieser allgemeinen Form eigentlich nichts entgegen zu setzen. Allerdings muss an dieser Stelle darauf aufmerksam gemacht werden, dass die bisher geschaffenen Transparenzvorgaben und Bewertungsrichtlinien für ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen als unzureichend angesehen werden müssen. Zum sog. Pflege-TÜV (Schulnotenverfahren) hat es fast ausnahmslos nur Kritik gegeben. In einem Brief von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk vom 23.02.2009 an den GKV – Spitzenverband Bund wurde zu diesem Thema u.a. ausgeführt: Es ist grundsätzlich gut und richtig, die
von den Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen und deren Qualität,
insbesondere hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität, für die pflegebedürftigen
Menschen und ihre Angehörigen verständlich, übersichtlich und vergleichbar
sowohl im Internet als auch in anderer geeigneter Form kostenfrei zu veröffentlichen.
Damit soll die Qualität der ambulanten und stationären Pflege ab 2009 transparent
gemacht werden. Der angesprochene Verband hat es nicht einmal für nötig erachtet, auf diese Zuschrift zu antworten. Das in der Angelegenheit angeschriebene Bundesgesundheitsministerium hat sich ebenfalls nicht gemeldet. --- Die Förderung des Aufbaus der Pflegestützpunkte läuft aus. Bei der Qualitätsprüfung muss die Ergebnisqualität Vorrang vor der Strukturqualität haben. Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk hat die Einführung der Pflegestützpunkte von Anfang an nicht für notwendig und sinnvoll erachtet, hat sich klar dagegen ausgesprochen. Beratungsangebote gibt es ausreichend, zumal den Pflegekassen schon immer eine Beratungspflicht auferlegt war (SGB I) und diese Pflicht ab 1.1.2009 ausgeweitet worden ist. Das reicht. Daher können die Mittel, mit denen die Pflegestützpunkte finanziert werden sollen, für andere sinnvollere Zwecke Verwendung finden. Gleichwohl sollte geprüft werden, wie eine unabhängige und wohnortnahe Beratung von pflegebedürftigen Menschen und ihrer Angehörigen mit den gegebenen Strukturen, auch im ehrenamtlichen Bereich, verbessert werden kann. --- Wir wollen eine neue, differenziertere Definition der Pflegebedürftigkeit. Damit schaffen wir mehr Leistungsgerechtigkeit in der Pflegeversicherung. Es liegen bereits gute Ansätze vor, die Pflegebedürftigkeit so neu zu klassifizieren, dass nicht nur körperliche Beeinträchtigungen, sondern auch anderweitiger Betreuungsbedarf (z. B. aufgrund von Demenz) berücksichtigt werden können. Wir werden die Auswirkungen dieser Ansätze auf die Gestaltung der Pflegeversicherung und auch die Zusammenhänge mit anderen Leistungssystemen überprüfen. Die Neuordnung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes war eigentlich schon für die vergangene Legislaturperiode vorgesehen. Die diesbezüglichen Reformüberlegungen sind – absichtlich? – nur schleppend voran gekommen, so dass jetzt insoweit umgehend gehandelt werden muss. Es wird darum gehen müssen, die dementiell erkrankten Menschen umfassend in den Kreis der leistungsberechtigten Menschen einzubeziehen. Die jetzt insoweit vorgesehenen Geldzuwendungen sind halbherzig und unzureichend. Die bereits vorliegenden Vorschläge zur Neuordnung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes können als durchaus hilfreich angesehen werden, so dass schnelle Entscheidungen möglich erscheinen. Allerdings darf eine Neuordnung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes nicht unter Finanzierungsvorbehalt gestellt werden. Der Vorschlag, eine Begriffsreform so zu gestalten, dass die Ausgabenseite im Ergebnis nicht belastet wird, ist abzulehnen. Jeder, der sich einigermaßen auskennt und die Reformnotwendigkeiten vor Augen hat, weiß, dass es erheblich teurer wird. --- Spiegelbildlich zu der besseren Abbildung des Leistungsbedarfes müssen Wohn- und Betreuungsformen zur Verfügung stehen, die an den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen orientiert sind, wie z. B. Wohngemeinschaften für Demenzkranke. Unser Ziel ist eine ergebnisorientierte und an den Bedürfnissen der Menschen orientierte, selbstbestimmte Pflege. Hilfreiche Wohn- und Betreuungsformen für pflegebedürftige Menschen müssen bei allen Erwägungen ausreichend Berücksichtigung finden. Das gebietet auch schon der Grundsatz „ambulant vor stationär“. Es muss aber der vielfach geäußerten Vorstellung entgegen getreten werden, dass bei einer Neuausrichtung bei den Wohn- und Betreuungsformen stationäre Pflegeeinrichtungen herkömmlicher Art entbehrlich würden. Angesichts der Zunahme der Zahl der pflegebedürftigen Menschen, vor allem auch der schwerstpflegebedürftigen Menschen, wird man ohne Heime nicht auskommen. Im Zweifel werden sogar mehr Heimpflegeplätze als bisher benötigt. Die demografische Entwicklung und Auflösung der Familienverbände wird insoweit klare Notwendigkeiten aufzeigen. ---
Die Pflegeversicherung bleibt ein wichtiges Element der sozialen Sicherung.
Die Pflegebedürftigen müssen auch künftig angemessene Pflegeleistungen zu
einem bezahlbaren Preis erhalten. In der Form der Umlagefinanzierung kann die
Pflegeversicherung jedoch ihre Aufgabe, allen Bürgern eine verlässliche
Teilabsicherung der Pflegekosten zu garantieren, auf Dauer nicht erfüllen.
Daher brauchen wir neben dem bestehenden Umlageverfahren eine Ergänzung durch
Kapitaldeckung, die verpflichtend, individualisiert und generationengerecht
ausgestaltet sein muss. Eine interministerielle Arbeitsgruppe wird dazu
zeitnah einen Vorschlag ausarbeiten. Eine menschenwürdige Pflege, so, wie wir sie eigentlich wollen, ist mit den bisherigen Pflege-Rahmenbedingungen bereits jetzt nicht zu gewährleisten. Daher sind deutliche leistungsrechtliche Veränderungen geboten. Diese Veränderungen werden mit den bisherigen Beitragsregelungen für die Pflegeversicherung nicht annähernd finanzierbar sein. Es wird in verschiedenen Modellrechnungen von Beitragsanhebungen auf 4 (unter Umständen sogar auf 7) % gesprochen. Wenn dies aus übergeordneten – und der Globalisierung geschuldeten – Überlegungen nicht zu finanzieren sein wird, muss auch an andere Finanzierungsmöglichkeiten gedacht werden. Diese sollten zunächst ausgeschöpft werden, bevor an den Aufbau eines Kapitalstockes in der Pflegeversicherung als Pflichtmaßnahme für alle Versicherten gedacht wird. Ressourcen liegen beispielsweise in der Ausweitung der Finanzierung auf alle Einkommen, in der Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenzen oder auch in dem stärkeren Heranziehen einzelner sozialer Gruppen, wie der kinderlosen Versicherten. Auf jeden Fall muss den Menschen gesagt werden, welche Pflege zukünftig zu welchem Preis zu erhalten sein wird. Dann mag sich jeder auch entscheiden können, ob er sich mit diesen Angeboten begnügt oder zusätzlich individuell vorsorgt. So mag dann jeder auch darüber befinden, ob er zeitnahen Konsum oder Vorsorge will. Dieser Schritt in mehr Eigenverantwortlichkeit wird grundsätzlich als richtig angesehen. Allerdings muss für diejenigen, die eine gewünschte bzw. erforderliche Vorsorge finanziell nicht erbringen können, eine solidarische Hilfe in der Form eines subjektiv-öffentlichen Rechts gewährleistet werden. Dies gebietet zwingend die Menschwürdegarantie und das Sozialstaatsgebot. ---
...(was u.a. fehlt) --- Rechtszersplitterung im Pflege- und Heimrecht: Die Koalitionsvereinbarung äußert sich nicht dazu, dass mit der vor Jahren durchgeführten Föderalismusreform die Zuständigkeit für die Heimgesetzgebung in die Länderzuständigkeit überführt worden ist. Dies führt nunmehr zu einer Rechtszersplitterung zu Lasten der HeimbewohnerInnen, die eigentlich dringend beendet werden muss. Es war ein klarer politischer Fehlgriff zuzulassen, dass nunmehr 16 unterschiedliche Heimgesetze in Kraft bzw. in Vorbereitung sind. Die Länder haben nicht einmal die Kraft gefunden, die heimrechtlichen Vorschriften in Konferenzen miteinander abzustimmen. Ein Übelstand ist und bleibt auch die Tatsache, dass die Heimaufsichten teilweise den Kommunen übertragen sind. Diese Kommunen sind zum Teil selbst Träger von Pflegeeinrichtungen, prüfen sich also selbst, oder die politischen Verstrickungen der Kommunalpolitiker mit Wohlfahrtsverbänden und anderen Trägerorganisationen sind so eng, dass an objektiven und wirksamen Überprüfungen ernstlich nicht geglaubt werden kann. Hinsichtlich dieser Missstände sind ebenfalls reformerische Maßnahmen geboten. Man darf auch einmal darüber nachdenken, ob es in Zeiten finanzieller Engpässe überhaupt notwendig ist, neben Heimaufsichten auch noch die Überwachungskompetenz des Medizinischen Dienstes vorzuhalten. Bei objektiver Betrachtung genügt eine Prüfinstanz, so dass bei einer entsprechenden Reform dieses Bereiches jede Menge Personal eingespart werden könnte. Dieses Personal stünde dann, möglicherweise gut qualifiziert, direkt für die Verbesserung der Pflege in den entsprechenden Einrichtungen zur Verfügung. Die politisch Verantwortlichen werden aufgefordert zu prüfen, ob die derzeit geltenden Vorschriften, mit unterschiedlichen Bundes- und Länderkompetenzen beim Heimvertragsrecht und den Landesheimgesetzen, weiter nebeneinander bestehen bleiben sollen. Dazu hat Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk bereits am 23.04.2009 folgende Äußerung abgegeben und bittet um Beachtung durch die jetzt politisch Verantwortlichen: Die 2006 von der Großen Koalition durchgeführte Föderalismusreform hatte u.a. zum Inhalt, die Zuständigkeit für das Heimrecht vom Bund auf die Länder zu übertragen. Diese Entscheidung stieß seinerzeit bei den meisten Altenhilfe-Experten auf scharfe Kritik. Künftig könne es zu pflegerischer Versorgung von Heimbewohnern nach Kassenlage der Länder, abgesenkten Fachkraftquoten, zum Unterlaufen bisheriger baulicher Mindeststandards und Qualitätseinbußen in einzelnen Ländern kommen, befürchteten sie. Auf jeden Fall werde es, so die Experten weiter, zu einer Rechtszersplitterung kommen, die die Qualität der Versorgung und Betreuung pflegebedürftiger Menschen nicht verbessern, sondern eher verschlechtern werde. Denn „Qualitätsnormen können sinnvollerweise nur bundeseinheitlich geregelt werden.“ Tatsache ist, dass die seinerzeit befürchtete Rechtszersplitterung Realität geworden ist. Denn mittlerweile sind die Länder dabei, eigene Länder-Heimgesetze zu erlassen, und zwar mit unterschiedlichen Inhalten. Wenn diese gesetzgeberischen Aktivitäten abgeschlossen sind, wird es in Deutschland allein 16 verschiedene Heimgesetze mit von einander abweichenden Ausführungsvorschriften geben. Daneben ist die weitere Zuständigkeit des Bundes für das SGB XI – Soziale Pflegeversicherung – und für das bürgerlich-rechtliche Vertragsrecht gegeben. Insoweit ergeben sich zwangsläufig Probleme, wie die jetzt von einigen Bundesländern angesprochenen Rechtskollisionen verdeutlichen. Die von den Ländern geäußerten Bedenken weisen allerdings in die falsche Richtung. Es kann eigentlich nicht darum gehen, die Bundeskompetenz für das bürgerlich-rechtliche Vertragsrecht zurückzudrängen, sondern eher gibt es Veranlassung, die Förderalismusreform wegen der gebotenen einheitlichen Gestaltung des Heim- und Pflegerechts für diese Rechtsbereiche rückgängig zu machen und die frühere einheitliche Bundeskompetenz wieder herzustellen. Die entscheidenden Rechtsfragen des Heim- und Pflegerechts sollten sinnvollerweise nur bundeseinheitlich geregelt werden. Dazu gehört, wie bereits 2006 eingefordert, das gesamte Heimrecht. Zu denken ist aber z.B. auch an die notwendigen Regelungen zur Ausstattung der Pflegeeinrichtungen mit dem zur guten Pflegequalität erforderlichen Pflege(fach)personal. Dazu bedarf es dringend bundeseinheitlicher Personalbemessungssysteme, die allein die auskömmliche Personalausstattung im Bereich der pflegerischen Versorgung und Betreuung der pflegebedürftigen Menschen gewährleisten können. Ohne solche bundeseinheitliche Vorgaben werden die Pflegesysteme weiter auseinanderfallen und die Qualität in den Pflegeeinrichtungen - entgegen anderslautender Bekundungen - nicht verbessern: Dies zum Nachteil der pflegebedürftigen Menschen! --- Wirksames Beschwerdemanagement ermöglichen Im Übrigen müssen geeignete Maßnahmen ergriffen werden, für Pflegeeinrichtungen Beschwerdemanagementsysteme zu installieren, die wirksam Pflegemissstände aufklären und beseitigen helfen. Dazu erscheint u.a. eine Vorschrift im BGB erforderlich (= Neufassung des § 612a BGB), die es MitarbeiterInnen in der Pflege nachteilsfrei ermöglicht, offensiver mit Anregungen und Beschwerden umzugehen. Dazu hat sich Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk 2008 wiederholt an den Deutschen Bundestag gewandt und auf notwendige Beschlussnotwendigkeiten aufmerksam gemacht, erfolglos. U.a. wurde dazu von hier ausgeführt: Die seit Jahren beklagten Pflegemängel werden weder durch das 2008 reformierte SGB XI (mit neuen Transparenzvorgaben und Bewertungssystemen –„Schulnoten“ für Pflegeeinrichtungen) und die neuen Länder-Heimgesetze (z.B. mit regelmäßigen unangemeldeten Heimprüfungen) noch durch das WBVG entscheidend vermindert werden können. Daher müssen die MitarbeiterInnen der Pflegeeinrichtungen in die Verbesserung der Pflegesituationen verstärkt eingebunden werden. Beschwerden über organisatorische und personelle Unzulänglichkeiten in den Pflegeeinrichtungen müssen dadurch angeregt bzw. ermöglicht werden, indem die Mitteilungen über solche Zustände durch eine gesetzliche Vorschrift für die MitarbeiterInnen „nachteilsfrei“ gestellt werden (ähnlich dem § 17 Arbeitsschutzgesetz). Insoweit wird bereits im Deutschen Bundestag eine Gesetzesinitiative diskutiert, die u.a. die Einfügung eines neu gefassten § 612a in das BGB vorsieht: § 612a BGB – Anzeigerecht Quelle für das Zitat u.a.: Drucksache des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – Nr. 16(10)849 Es macht wenig Sinn, von den Pflegekräften stets und ständig engagiertes bzw. couragiertes Verhalten im Betrieb abzuverlangen, sie dann aber anschließend im Stich zu lassen. Es liegt auf der Hand, dass man den Pflegekräften Schutz zu bieten hat. Insoweit scheint der neugefasste § 612a BGB (oder eine entsprechende Vorschrift im WBVG) sehr hilfreich. Dabei wird natürlich nicht verkannt, dass auch eine solche Vorschrift nicht in allen Fällen verhindern kann, dass es gleichwohl Sanktionen gegen unliebsame ArbeitnehmerInnen geben wird. Aber die vorgeschlagene Neuregelung könnte dazu beitragen, eine neue Kultur des Hinschauens zu entwickeln. Auch die Hauptversammlung des Marburger Bundes hat den Deutschen Bundestag anlässlich seiner Hauptversammlung am 07.11.2009 aufgefordert, für mehr Informationsfreiheit einzutreten, damit endlich der Schutz von Fehlermeldern (Whistleblowers) für das Gesundheitswesen gesetzlich festgeschrieben wird. Dies sei auch Voraussetzung dafür, dass die Idee des Critical Incident Reporting Systems (CIRS), also der Mitteilung von Beinahe-Schadensfällen, nachhaltig Fuß fassen kann. In einer Pressemitteilung des Marburger Bundes vom 07.11.2009 heißt es dazu: „Die Beschäftigten im Gesundheitswesen dürfen keine arbeitsrechtlichen Folgen befürchten müssen, wenn sie Gefahren und Rechtsverstöße in ihrem Arbeitsbereich melden. Eine Novellierung des § 612a BGB zum Informationsschutz für Beschäftigte mit der Aufnahme eines Anzeigerechtes ist erforderlich“, heißt es in dem Beschluss des Ärzteverbandes. --- Ausbau der häuslichen Pflege nach stationärer Behandlung und Pflegebedürftigkeit Der § 37 SGB V regelt die Häusliche Krankenpflege und sorgt „in Grenzen“ dafür, dass bestimmte behandlungspflegerische Leistungen und sonstigen Hilfen unmittelbar nach einem stationären Krankenhausaufenthalt zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung bewilligt werden können. Darüber hinaus können die Krankenkassen per Satzung weitergehende Leistungen ermöglichen. Die Regelungen in § 37 SGB V müssen als unzureichend empfunden werden, weil bei grundpflegerischen Bedürfnissen und sonstigen länger andauernden Hilfenotwendigkeiten keinerlei Unterstützungsleistungen gewährt werden können. Zahlreiche Versicherte fallen so nach einem Krankenhausaufenthalt und dem möglicherweise noch nicht eingetretenen Fall einer Pflegebedürftigkeit (§ 14 SGB XI) in ein „Versorgungsloch“. Damit ergeben sich nach den immer kürzer werdenden Krankenhauspflegezeiten (= „blutige Entlassungen“) zunehmend leistungsrechtliche Probleme, die dringend einer Lösung bedürfen. Offensichtlich sind die Krankenkassen nicht bereit, per Satzungsregelung Angebote zu schaffen. Daher ist eine gesetzgeberische Initiative zur Problemlösung geboten. Es wird diesseits für erforderlich erachtet, die vorstehenden Ausführungen in die weiteren Beratungen einzubeziehen und möglichst umzusetzen. Pro Pflege – Selbsthilfenetz steht für weitere Auskünfte und konstruktive Stellungnahmen gerne zur Verfügung. Als Lobby für pflegebedürftige Menschen wollen wir nicht nur Unzulänglichkeiten und Fehlentwicklungen aufzeigen, sondern auch konstruktiv an Veränderungen mitwirken. Es ist im Übrigen vorgesehen, im April 2010 (voraussichtlich am 27.04.2009) in einem größeren Pflegetreff in Neuss-Erfttal die gebotenen Reformmaßnahmen aufzugreifen und öffentlich zu diskutieren. Das Thema des Treffs: „Welche Pflege wollen wir (uns leisten)?“ Wer sich dabei mit einbringen will, ist herzlich willkommen. Werner Schell, Vorstand von Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk Spontane
Mit-Zeichnungen Wilfried Breer Rosemarie Breuer Dr.
med. Gundula Buchholz-Wimmer Brigitte Bührlen Peter
Ludwig Eisenberg Dr. Yvonne Erdmann Rolf Esch D. Phil. Oxon Felix Küllchen, Florian Küllchen, Physiotherapeut Irmgard Küllchen Norbert Küllchen Leitungskräfte Horst
Lucht Pflege(fach)kräfte Heinz
Pinschmidt Elsbeth Rütten Christine
Schmidt Klaus-Dieter
Watschke Dr.
med. Wolfgang Wimmer Text ist zur Veröffentlichung frei Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk ist Kooperationspartner der „Aktion Saubere Hände“ |