»Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk«
Pressemitteilung vom 16.11.2008
"Recht tun - richtig pflegen"
Pflegewissenschaftler und Juristen diskutierten am 14. und 15.11.2008 an der Universität Witten/Herdecke über rechtliche Probleme in der Pflege
"Patientenverfügung und Pflegevertrag", "Ist eine eigene Berufshaftung für Pflegende nötig?",
oder auch: "Dir werd' ich helfen - Zwischen Wunsch, Wohl und Obhutspflicht
am Beispiel der Fixierung". Solche und ähnliche Themen standen auf dem
Programm der Fachtagung "Recht tun - richtig pflegen" an der Universität
Witten/Herdecke. In den Vorträgen und Workshops ging es auch um Datenschutz,
Pflegedokumentation als Beweismittel und Expertenstandards. "Wer pflegt,
muss nicht nur fachlich wissen, was er tut, sondern die juristischen Fallstricke
werden leider immer mehr", sagte Prof. Christel Bienstein, Leiterin des
ausrichtenden Instituts für Pflegewissenschaft der Universität
Witten/Herdecke.
„Charta der Recht hilfe- und pflegebedürftiger Menschen“ – ein Papiertiger?
So lautete der Titel des Abschlussvortrages von Werner Schell, der
sich seit Jahrzehnten als Dozent für Pflegerecht und Akteur in der Patienten-
und Pflegeselbsthilfebewegung für eine Verbesserung der
Pflege-Rahmenbedingungen einsetzt. Schell hatte erst am 29.10.2008 ein
Statement zum geplanten Heimrecht in NRW abgegeben und dabei gefordert, die
"Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen" im neuen
Landes-Heimrecht verbindlich zu machen (CAREkonkret berichtete am 14.11.2008)
Schell führte in seinem Abschlussvortrag im Wesentlichen aus:
- Die Krankenversorgung, Pflege und sonstige Betreuung müssen unter Beachtung der Menschenwürdegarantie erfolgen. Insoweit ist unsere Werteordnung eindeutig!
- Welche Grundsätze im Einzelnen bei der Verwirklichung des
Selbstbestimmungsrechtes von Patienten und pflegebedürftigen Menschen zu
beachten sind, ergibt sich vornehmlich aus Artikel 1 und 2 Grundgesetz und der
„Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen“.
- Da die „Charta“ aber keine subjektiv-öffentlichen Rechte mit
einklagbarem Anspruchscharakter enthält, sind weitergehendere Folgerungen
notwendig.
- Die Gesetzgeber im Bund und in den Ländern sind aufgefordert, die
in der „Charta“ beschriebenen Handlungsgrundsätze verbindlich zu machen.
Dies ergibt sich aus der staatlichen Schutzpflicht nach Artikel 1 Grundgesetz.
- Weil die Lobby der Patienten und pflegebedürftigen Menschen im
Medizinrecht schwach ist und die organisierten wirtschaftlichen Interessen der
Leistungserbringer und der am Gesundheitsmarkt beteiligten Unternehmen stark
ausgeprägt ist, ist die Wahrnehmung der Schutzpflicht aller staatlichen Organe
insoweit besonders wichtig!
- Solange es die Verbindlichkeit der „Chartagrundsätze“ im
Sinne von subjektiv-öffentlichen Rechten (noch) nicht gibt, sind alle
Verantwortlichen im Gesundheits- und Pflegesystem aufgefordert, diesen Grundsätzen
im Rahmen einer Art Selbstverpflichtung zu entsprechen.
- Die
Verbindlichkeit unserer Werteordnung hat unabhängig vom Personalbestand zu
gelten. Die Führungskräfte stehen insoweit mit ihren Kompetenzen klar in der
Pflicht. Gleichwohl ist dafür Sorge zu tragen, dass personelle Engpässe, die
natürlich bei einer konsequenten Anwendung der „Chartagrundsätze“ verstärkt
werden, durch entsprechende Reformen beseitigt werden („Nach der Reform ist
vor der Reform“).
- Pflegekräfte, die aufgrund von Arbeitsverdichtungen und
personeller Not nicht immer allen Anforderungen gerecht werden können, müssen
gegebenenfalls innerbetrieblich für entsprechende Abklärungen Sorge tragen. Zu
bedenken ist dabei, dass immer mit der „erforderlichen Sorgfalt“ (§§ 276,
278 BGB) gearbeitet werden muss.
- Der Gesetzgeber hat auch dafür zu sorgen, dass Pflegekräfte ohne
Nachteile erfahren zu müssen, nachhaltig auf Missstände bei der Versorgung von
Patienten und pflegebedürftigen Menschen aufmerksam machen dürfen. Damit könnten
sich Pflegekräfte vor Ort stärker für eine Umsetzung der „Chartagrundsätze“
einsetzen.
- Der Gesetzgeber ist im Übrigen aufgefordert, durch strukturelle
Veränderungen im Gesundheits- und Pflegesystem für die erforderliche
finanzielle und personelle Ausstattung zu sorgen. Dem vor einigen Monaten von
einem bekannten Münchner Pflegekritiker abgegebenem Statement, mit dem die
Pflegekräfte pauschal zu 40% als ungeeignet bezeichnet wurden, wird ausdrücklich
widersprochen. Eine solche diskriminierende Äußerung ist nicht akzeptabel!
- Es muss im Übrigen den Menschen in dieser Gesellschaft
erforderlichenfalls gesagt werden, dass Verbesserungen im Gesundheits- und
Pflegesystem mehr Geld kosten. Eine stärkere individuelle Versorge ist daher in
Erwägung zu ziehen. Die demografische Entwicklung wird keine andere Wahl
lassen.
→ „Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen“