>> Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk <<
Pressemitteilung vom 03.02.2009
Ergänzung zur Mitteilung vom 16.01.2009
Pflegesysteme im Umbruch? - Der Pflegetreff am 17.02.2009 in Neuss-Erfttal informiert
Eingeladen sind zum Pflegetreff vor allem pflegebedürftige Menschen und Angehörige, PflegemitarbeiterInnen, Leitungskräfte in Pflegeeinrichtungen sowie alle interessierten BürgerInnen! -Der Eintritt ist frei!
Der (7.) Neusser Pflegetreff findet am Dienstag, dem 17.02.2009, in der Zeit von 18.00 - ca. 21.00 Uhr unter der Schirmherrschaft von Heinz Sahnen, Stadtverordneter und Mitglied des Landtages NRW in einem größeren Rahmen im Jugendzentrum „Kontakt Erfttal“ - 41469 Neuss-Erfttal, Bedburger Straße 57 – statt und wird mit einem einführenden Statement vom Bürgermeister der Stadt Neuss, Herbert Napp, beginnen. Es werden dann unter der Leitung und Moderation von Werner Schell, Vorstand von „Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk“ und Dozent für Pflegerecht, aktuelle gesundheits- und pflegepolitische Themen angesprochen. - Das allgemeine Motto: „Nach der Reform ist vor der Reform.“
Als Referenten stehen ausgewiesene Experten zur Verfügung:
- Willi Zylajew, MdB und pflegepolitischer Sprecher der Union im Deutschen Bundestag.
- Burkhardt Zieger, Dipl.-Sozialwissenschaftler, Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK Nordwest e.V.).
- Uwe Brucker, Fachgebietsleiter „Pflegerische Versorgung“, Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e. V. (MDS).
- Brigitte Bührlen, Vorstandsmitglied von „Wir pflegen“ und Mitglied im „Forum Pflege aktuell“, Interessenvertreterin der pflegenden Angehörigen.
Der Pflegetreff darf auch als Demonstration für bessere Strukturen im Gesundheits- und Pflegesystem verstanden werden
Zunächst wird es einen Überblick über die zurückliegenden Reformen für das Gesundheitswesen (2007) und die Pflegeversicherung (2008) geben. Es wird zu erläutern und zu diskutieren sein, welche positiven Veränderungen der Gesetzgeber auf den Weg gebracht hat. Allerdings müssen wohl auch einige Unzulänglichkeiten angesprochen werden; u.a.:
Zunehmende Belastungen der Versicherten
(Zuzahlungen, Ausgrenzungen, Rationierungen) von medizinischen Leistungen.
Beklagenswert ist u.a. der Umstand, dass die vielfach gepriesene spezialisierte
ambulante Palliativversorgung – trotz Rechtsanspruch im SGB V - nicht
gesichert ist. Die unzureichende Honorierung der Ärzte belastet die
Beziehungen zu den Patienten. Es vermag in diesem Zusammenhang nicht
einzuleuchten, dass z.B. ein Hausarzt für seine Dienstleistungen zugunsten
eines Heimbewohners einschließlich mehrfacher Besuche im Pflegeheim pro Quartal
nicht mehr als 35,00 Euro zugestanden bekommt. Die gesetzgeberischen Eingriffe
in die Arznei- und Hilfsmittelversorgung sind aus Patientensicht
ebenfalls nicht nachvollziehbar und werden als Belastung empfunden. Aus Sicht
der Patienten bzw. pflegebedürftigen Menschen müssen die Reformansätze nach
dem Gebot der „Ökonomisierung und mehr Wettbewerb“ klar als Attacke
auf die gute medizinische und pflegerische Versorgung verstanden werden.
Willi Zylajew, MdB, wird informieren
und sich den Fragen stellen.
Eine Studie des Deutschen Instituts für
angewandte Pflegeforschung – dip – (an der Katholischen Fachhochschule
Köln) hat es Mitte 2007 an den Tag gebracht. Es fehlen in den
bundesdeutschen Krankenhäusern mindestens 50.000 Pflegekräfte. Statt mehr
Pflegepersonal einzustellen, hat es Reduzierungen gegeben, die nach Bekundungen
zahlreicher Krankenhausverantwortlicher nicht selten riskante
Krankenpflegesituationen verursachen. Im Herbst 2008 kam es zur Vorstellung
einer Studie der Fachhochschule Hannover (Prof. Simon), die sogar von 70.000
fehlenden Pflegekräften spricht. Am 30.01.2009 berichtete das Deutsche
Ärzteblatt von einer aktuellen Umfrage des Deutschen Berufsverbandes für
Pflegeberufe e.V. (DBfK), die von katastrophalen Pflegesituationen und haarsträubenden
Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte spricht; damit sind die bisherigen
Studienergebnisse eindrucksvoll bestätigt.
Die Bundesregierung hat zwar ebenfalls den Pflegenotstand erkannt und im Herbst
2009 den Krankenhäusern 21.000 neue Stellen für Pflegekräfte zugestanden, hat
aber dann wenig später die Zahl auf 14.000 reduziert. Angesichts der Tatsache,
dass die Krankenkassen vehement gegen eine Stellenvermehrung in den
Krankenhäusern votieren, mag man letztlich nicht an eine kurzfristige Besserung
der Zustände denken.
Die Pflegesituation in den Heimen ist ähnlich unbefriedigend; gibt es
nämlich auch dort für die allseits geforderten pflegerischen Dienstleistungen,
vor allem mit notwendigen Zuwendungsleistungen für dementiell erkrankte
Menschen, nicht genügend Personal. „Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk“
setzt die gebotene Stellenaufwertung für die Pflegeeinrichtungen mit mindestens
20% an.
Dieses nur kurz skizzierte Pflegedilemma ist umso unverständlicher, als es bis
heute weder für die Krankenhäuser noch für die Pflegeeinrichtungen
irgendwelche verbindlichen Personalbemessungssysteme gibt. Man kann
sagen, dass die Personalausstattung in der Pflege allein nach Kassenlage
erfolgt und nicht an medizinisch-pflegerischen Bedürfnissen ausgerichtet ist.
Burkhardt Zieger, DBfK, wird
alles näher erläutern.
In den zurückliegenden Jahren gab es wiederholt Berichte der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung (MDK) über gravierende Missstände bei der Versorgung der pflegebedürftigen Menschen in den ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen. Man konnte aus den verschiedenen Berichten entnehmen, dass etwa 10 % der pflegebedürftigen Menschen unter einem näher beschriebenen Mangel konkret zu leiden hatten. Bei einem noch höher anzusetzenden Prozentsatz der pflegebedürftigen Menschen wurden Mängel in der sog. Struktur- bzw. Prozessqualität ermittelt. Z.B. kam es zu Dokumentationsfehlern, ohne dass damit ein Mangel im Pflegeergebnis verbunden sein musste.
Es hat daher folgerichtig zahlreiche
Bemühungen gegeben, die Qualität in der ambulanten und stationären Pflege zu
verbessern, mit eher bescheidenen Erfolgen. Mittlerweile sind die Bundesländer
dabei, aufgrund einer zurückliegenden Förderalismusreform neue Heimgesetze
zu verabschieden. Dabei sollen Regelungen gefunden werden, die geeignet
erscheinen, den Pflegemängeln wirkungsvoll zu begegnen. Eine vielfach
geforderte Regelung ist die regelmäßig durchzuführende unangemeldete Prüfung
in den Pflegeeinrichtungen. Weitere Bemühungen zielen darauf ab, die Rechte der
pflegebedürftigen Menschen zu stärken. Die pflegerische Versorgung soll
transparenter werden.
Die zurückliegende Pflegereform (2008) sieht u.a. auch vor, die
Qualität in der ambulanten und stationären Pflege ab 2009 anhand von näher
bestimmten Kriterien regelmäßig zu prüfen und die Ergebnisse mittels „Schulnoten“
zu präsentieren. Damit sollen den interessierten Personenkreisen möglichst objektive
Bewertungsmöglichkeiten geboten werden.
Kritisch zu fragen ist aber, ob angesichts der strukturellen Mängel im
Pflegesystem mit mehr Transparenz und Schulnoten eine wirkliche Verbesserung
der Pflege- und Betreuungsleistungen erreicht werden. Dazu bedarf es sicherlich
weiterer Veränderungen, vor allem eine personelle „Aufrüstung“. „Pro
Pflege – Selbsthilfenetzwerk“ ist der Meinung, dass pauschalierende Angriffe
auf die Pflegekräfte bezüglich anhaltender Mängelberichte nicht
gerechtfertigt sind. Die im vergangenen Jahr von einem Münchener Pflegekritiker
abgelieferte „Sprechblase“, 40% der Pflegekräfte seien ungeeignet,
disqualifiziert diesen Kritiker selbst und wird auf das Schärfste
zurückgewiesen. Wenn es darum gehen soll, den bekannten „Schwarzen Peter“
irgendwem zuzuschieben, dann muss an diejenigen gedacht werden, die die
strukturellen Rahmenbedingungen vorgegeben haben und diese mit umzusetzen
berufen sind. Dabei liegt es nicht fern, auch die Pflegekassen bzw. den MDK in
die Verantwortlichkeit einzubinden.
Uwe Brucker, MDS, wird zum Thema
Stellung nehmen und über die Neuerungen informieren.
Wie schon angedeutet, bedarf es in der
Pflegeversicherung struktureller Veränderungen. Dies hat die
Bundeskanzlerin, Frau Merkel, bereits kurz nach der Pflegereform (2008)
erklärt. Die Bundesgesundheitsministerin, Frau Schmidt, spricht ebenfalls seit
Monaten von weiterem Reformbedarf und gibt auch zu, dass etwa 10% der
pflegebedürftigen Menschen nicht angemessen versorgt sind.
Dringend notwendig ist eine Neuordnung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes.
Darüber sind sich die Experten eigentlich seit vielen Jahren einig. Es ist
daher unverständlich, dass die zurückliegende Reform die erforderlich
erachtete Neuordnung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes ignoriert hat.
Nun liegen konkrete Konzepte vor, die die mögliche Neuordnung des
Pflegebedürftigkeitsbegriffes näher verdeutlichen. Danach soll es demnächst
fünf statt drei Pflegestufen geben. Erfreulich – und längst überfällig
- ist dabei auf jeden Fall, dass die dementiell erkrankten Menschen mit
ihrem Hilfebedarf in die Zuordnung von Pflegestufen einbezogen werden.
Zu bedenken sind aber bereits jetzt die Botschaften aus verschiedenen
politischen Lagern, dass bei der nächsten Pflegereform eine Kostenausweitung
außer Betracht bleiben müsse. Dies gibt zur Sorge Anlass, dass die
nächste Pflegereform wiederum nur eine Neuausrichtung nach Kassenlage
sein wird. Dem muss aber mit Rücksicht auf die gewaltige Zunahme
pflegebedürftiger Menschen und der damit einher gehender demografischen
Entwicklung entgegen getreten werden. Man könnte auch sagen, dass es zu gravierenden
Verwerfungen in der bundesdeutschen (und europäischen) Gesellschaft geben
wird. Insoweit werden zusätzliche finanzielle Vorsorgeerwägungen zwingend
sein. Die nachhaltige Finanzierung des Pflegesystems muss zeitgerecht
erfolgen (ähnlich den Erwägungen in der Rentenversicherung). Die BürgerInnen
müssen die Wahrheit erfahren und sich auf die Situation einstellen können.
Alle Referenten und Gäste sind
aufgerufen, sich mit Statements zu Wort zu melden.
Beim Pflegetreff werden im Übrigen für die Gäste zahlreiche (kostenlose) Broschüren zur Verfügung stehen, die ergänzend zum Pflege- und Patientenrecht informieren!
Werner Schell
http://www.wernerschell.de
Der vorstehende Text ist zur Veröffentlichung freigegeben!