»Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk«
Pressemitteilung vom 22.02.2009
Der Neuss-Erfttaler Pflegetreff am 17.02.2009 mit dem Thema „Pflegesysteme in der Krise?“ stieß auf große Resonanz
„Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk“, vertreten durch Werner Schell, hatte zum 7. Pflegetreff in Neuss-Erfttal eingeladen. Über 130 Gäste waren der Einladung gefolgt. Hochkarätige Referenten standen mit sachkundigen Statements und Diskussionsbeiträgen zur Verfügung.
Heinz Sahnen, Mitglied des Landtages(MdL)von NRW und Schirmherr des Pflegetreffs, übernahm zu Beginn des Pflegetreffs in Vertretung des dienstlich verhinderten Bürgermeisters, Herbert Napp, die Begrüßung der Gäste und brachte den Dank und die Anerkennung für die Erfttaler Initiative zur Verbesserung der Pflegesysteme zum Ausdruck. Dabei sparte er nicht mit Lob für Werner Schell, der sich für diese Thematik engagiert einsetzt und die Erfttaler Treffs ins Leben gerufen hat bzw. organisiert.
Im ersten Teil der Veranstaltung ging es um allgemeine gesundheits- und pflegepolitische Fragestellungen. Willi Zylajew, MdB und pflegepolitischer Sprecher der Union im Deutschen Bundestag, zeigte in seinem Statement auf, dass wir in Deutschland mit unseren Versorgungssystemen gut aufgestellt seien. Diese positive Einschätzung schließe aber (weitere) reformpolitische Überlegungen nicht aus. Dabei seien die unterschiedlichsten Interessen zu berücksichtigen. Finanzielle Leistungen könnten nicht einfach nur ausgeweitet werden. Es seien nämlich entsprechende Beitragslasten (für Arbeitgeber und Arbeitnehmer) zu bedenken. Klar sei, dass es im Pflegesystem Veränderungsnotwendigkeiten gebe. Vor allem bedürfe der Pflegebedürftigkeitsbegriff als eine Art Einstieg in die verschiedenen Pflegeleistungen einer Erneuerung. Wahrscheinlich müsse aber mit Rücksicht auf die Folgewirkungen das Budget eingehalten werden. Dies sei ein Punkt, der sorgsam betrachtet werden müsse.
Willi Zylajew bekräftigte im Übrigen das von Heinz Sahnen bereits ausgesprochene Lob für die Erfttaler Initiative und bezeichnete die Neusser Pflegetreffs als einmalig in Deutschland. Er wünsche sich mehr solcher Veranstaltungen!
An die gesundheits- und pflegepolitischen Grundsatzerklärungen schloss sich das Statement von Burkhardt Zieger, Dipl.-Sozialwissenschaftler, Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK Nordwest e.V.), an. Bei diesem Statement wurde eindrucksvoll deutlich, dass es tatsächlich einen Pflegenotstand gibt, der mit seriösen Fakten (Studien) belegt werden kann. Das vorliegende Zahlenmaterial zeige zum Beispiel für den Krankenhausbereich einen Fehlbedarf in einer Größenordnung von rd. 70.000 Pflegekräften auf. Eine aktuelle Umfrage des DBfK zeige im Übrigen, dass die fehlenden Pflegekräfte nicht nur eine berufspolitisch beklagenswerte Situation sei, sondern mittlerweile katastrophale Zustände, Patientengefährdungen eingeschlossen, angenommen habe. Die Pflegekräfte litten aufgrund der seit Jahren zunehmenden Arbeitsverdichtungen unter Belastungen, die kaum noch erträglich seien und allzu oft nach wenigen Jahren zum Berufsausstieg führten. Die inzwischen zugesagten rd. 17.000 Personalstellen für die Pflege reichten hinten und vorne nicht aus. Der Bedarf an Pflegepersonal könne damit - auch nicht annähernd – ausgeglichen werden. Es seien daher weitere Maßnahmen zur Ausbildung und Anstellung von Pflegekräften dringend geboten.
Brigitte Bührlen, Vorstandsmitglied von „Wir pflegen“ und Mitglied im „Forum Pflege aktuell“, konnte daran anschließend sehr anschaulich darstellen, dass es nicht nur eine Not der professionell Pflegenden gebe. Auch die Angehörigen seien unter schwierigsten Bedingungen damit beschäftigt, in den unterschiedlichsten familiären Strukturen Pflege- und Betreuungsleistungen zu organisieren bzw. selbst durchzuführen. Dies nicht selten unter körperlichen und seelischen Belastungen, die dann Zweifel zuließen, ob es denn systemisch genug Hilfen und Anerkennung für die pflegenden Angehörigen gebe. Das Pflegesystem, eigentlich am Grundsatz „ambulant vor stationär“ ausgerichtet, anerkenne die Angehörigenpflege nur unvollkommen, was insbesondere in den unzureichenden Geldleistungen zum Ausdruck komme. Insoweit seien entscheidende Veränderungen dringend geboten. Die ambulante häusliche Pflege müsse in den Mittelpunkt reformerischer Überlegungen gestellt werden, aus menschlichen und finanziellen Gründen.
Uwe Brucker, Fachgebietsleiter „Pflegerische Versorgung“, Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e. V. (MDS), informierte schließlich über die aufgrund der Pflegereform (2008) vereinbarten Bewertungssysteme für die ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen. Dieses als „Schulnotensystem“ bekannt gewordene Verfahren zur Bewertung von Pflegeeinrichtungen solle helfen, leichter die richtige, die gute, Einrichtung zu finden. Bei der Vorstellung dieses „Schulnotensystems“ sparte der Referent allerdings nicht mit Kritik. Denn die dem Bewertungssystem zugrunde liegenden Vereinbarungen seien mit den Verbänden abgesprochen, die die zu prüfenden bzw. zu bewertenden Einrichtungen vertreten. Damit habe man den Bock zum Gärtner gemacht. Allein dieser Umstand zeige die Problematik dieses Bewertungsverfahrens auf. Es sei, so der Referent weiter, sicherlich eher hilfreich, sich eine Einrichtung selbst gründlich anzusehen und die Umstände zu erkunden, wie dort gepflegt werde. Dann ging der Referent auf die geplante Neuordnung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes ein und erläuterte, wie sich der zur Zeit geltende Begriff entwickelt habe und welche Anforderungen an eine Neuordnung zu stellen seien, die gebotene Neuausrichtung des Begutachtungsverfahrens eingeschlossen.
Die verschiedenen Statements wurden unter der Moderation von Werner Schell, Vorstand von „Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk“ und Dozent für Pflegerecht, unter Beteiligung der Gäste lebhaft diskutiert. Dabei wurden die verschiedenen Schwachpunkte des Gesundheits- und Pflegesystems hinterfragt. Bei zahlreichen Wortmeldungen konnten die positiven Einschätzungen der zurückliegenden Reformen keine Bestätigung finden. Es gebe erhebliche Widersprüche zwischen Theorie und Praxis. Heftige Kritik gab es auch zu den Regelungen der ärztlichen Honorierung. Ein vor Ort praktizierender Arzt konnte seine problematische Situation erläutern. Es wurde schließlich deutlich, dass die Einstufung von pflegebedürftigen Menschen oft Schwierigkeiten bereite. Der Medizinische Dienst, der einerseits für die Überprüfung der Heime zuständig sei, verweigere andererseits oftmals die gerechte Einstufung der Heimbewohner. Dann fehle dem Heimträger das nötige Geld, um ausreichend Personal anzustellen. Dies konnte Georg Bonerz, Heimleiter des Marienhauses Essen, anhand konkreter Beispiele aus der Praxis eindrucksvoll verdeutlichen.
Werner Schell vertrat, letztlich unwidersprochen, die Auffassung, dass die nächste Pflegereform mit einer Erneuerung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes mehr Kosten verursachen werde. Denn der Begriffserneuerung müssten zwangsläufig Folgerungen im Leistungsrecht folgen. Das Budget könne, entgegen anders lautenden Bekundungen, nicht eingehalten werden. Dabei seien auch auskömmliche Personalbemessungssysteme zu schaffen; denn die Anstellung von Pflegepersonal nach Kassenlage könne nicht länger hingenommen werden. Die BürgerInnen müssten im Zweifel auch deutlicher als bisher auf die Notwendigkeit der individuellen Vorsorge hingewiesen werden.
Die Neuss-Grevenbroicher Zeitung (NGZ) berichtete am 19.02.2009 ausführlich über die Erfttaler Veranstaltung und fasste das abschließende Statement des Schirmherrn der Veranstaltung u.a. wie folgt zusammen:
Heinz Sahnen schätzt, dass durch diese Veranstaltung der Stadtteil Erfttal erneut sehr positive Aufmerksamkeit erfahre. Die Qualität der Aktivitäten und Statements müsse in die Politik einfließen: Pflege sei ein intensiv zu bearbeitendes Feld. Die Basis habe deutlich gemacht, wo der Schuh drücke. Davon sollten wirklichkeitsnahe Gesetze profitieren.
Das Resümee des örtlichen Pressevertreters (NGZ) im Übrigen (Zitat):
„Volles Haus beim siebten Pflegetreff in Erfttal. Referenten erteilten der ´Minutenpflege` in vielen Heimen eine klare Absage. Immer mehr Pfleger denken an Ausstieg.“
Der vollständige Bericht der NGZ ist u.a. im hier abrufbar.
Umfangreiches Bildmaterial hier.
„Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk“ wird es nicht bei den Statements und Diskussionsbeiträgen beim Pflegetreff und weiterer ähnlicher Veranstaltungen belassen, sondern die für erforderlich erachteten Reformüberlegungen an die politisch Verantwortlichen (in Bund, Land und Kommune) herantragen und mit allem Nachdruck für eine möglichst weitgehende Umsetzung eintreten.
Werner Schell wörtlich:
„Diese Gesellschaft muss endlich darüber diskutieren und befinden, welche Pflege sie für die hilfe- und pflegebedürftigen Menschen gewährleisten will. Es macht keinen Sinn, mit einer gut gemeinten ´Pflegecharta` die Rechte der hilfe- und pflegebedürftigen Menschen ausführlich zu beschreiben, wenn nicht auch die entsprechenden Strukturen zur Umsetzung der entsprechenden Grundsätze geschaffen werden. Uneingeschränkt gute Pflege wird deutlich mehr kosten!“
So gesehen sind die Neusser Pflegetreffs eine Basis für die zu ziehenden Folgerungen: Wir sind die Betroffenen!
Werner Schell kündigte den nächsten Pflegetreff im „Kontakt Erfttal“ für den 23.06.2009 an. Dabei werde es vor allem um die Angehörigenarbeit im Zusammenhang mit Pflegebedürftigkeit gehen. Frau Angelika Gemkow, Landesbehindertenbeauftragte NRW, hat bereits ihre Teilnahme für den 23.06.2009 zugesagt. Frau Brigitte Bührlen wird ebenfalls wieder anwesend sein. Werner Schell rief die Gäste beim Pflegetreff dazu auf, die Veranstaltung vorzumerken und zu unterstützen.
Abdruck frei und erwünscht!